BAG
1.9.2010, 5 AZR 700/09
§
622 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach bei der Berechnung
der Kündigungsfrist Beschäftigungszeiten
vor Vollendung des 25. Lebensjahrs nicht berücksichtigt
werden, ist nach dem Urteil des EuGH vom 19.1.2010
(Rs. C-555/07, "Kücükdeveci")
nicht mehr anzuwenden. Arbeitnehmer, die sich gegen
eine danach zu kurze Kündigungsfrist zur Wehr
setzen möchten, müssen allerdings regelmäßig
innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz
1 KSchG Klage erheben. Etwas anderes gilt nur, wenn
sich die Kündigung als eine solche mit der
rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt.
Sachverhalt:
Der am 9.11.1972 geborene Kläger war seit dem
1.8.1995 als Mitarbeiter an einer Tankstelle beschäftigt,
bei der zweimal der Pächter wechselte, bevor
die Beklagte den Betrieb übernahm. Mit Schreiben
vom 22.4.2008 kündigte die Beklagte dem Kläger
zum 31.7.2008.
Im November 2008 erhob der Kläger Klage auf
Leistung der Annahmeverzugsvergütung für
die Monate August und September 2008. Zur Begründung
machte er geltend, dass die gesetzliche Kündigungsfrist
gem. § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BGB fünf
Monate zum Monatsende betrage, da er insgesamt mehr
als zwölf Jahre beschäftigt gewesen sei.
§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB sei nicht anzuwenden.
Die Vorschrift verstoße gegen das unionsrechtliche
Verbot der Altersdiskriminierung.
Die Beklagte vertrat dagegen die Auffassung, dass
§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB jedenfalls noch so
lange anzuwenden sei, bis die Vorschrift vom nationalen
Gesetzgeber geändert werde. In jedem Fall genieße
sie Vertrauensschutz.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab; das LAG gab
ihr statt. Die hiergegen gerichtete Revision der
Beklagten hatte Erfolg.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch
auf Zahlung von Annahmeverzugslohn für die
Monate August und September 2008.
§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht anwendbar
Die Beklagte hat allerdings mit zu kurzer Frist
gekündigt. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB darf
nicht mehr angewendet werden, weil eine derartige
Regelung nach der "Kücükdeveci"-Entscheidung
des EuGH mit dem Recht der Europäischen Union
unvereinbar ist. Im Übrigen hat die Beklagte
fälschlicherweise nur die Beschäftigungszeiten
des Klägers bei ihrer unmittelbaren Rechtsvorgängerin
berücksichtigt. Gemäß § 622
Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BGB hätte sie nur mit einer
Frist von fünf Monate und damit erst zum 30.9.2008
kündigen können.
Nichteinhaltung der Kündigungsfrist
nach § 4 Satz 1 KSchG
Dennoch war die Klage abzuweisen, da der Kläger
die Drei-Wochen-Frist für die Klageerhebung
nach § 4 Satz 1 KSchG versäumt hat.
Eine zu kurze Kündigungsfrist kann nur dann
noch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist geltend gemacht
werden, wenn sie sich als eine solche mit der rechtlich
gebotenen Frist auslegen lässt. Bedürfte
die Kündigung dagegen der Umdeutung in eine
Kündigung mit zutreffender Frist, so gilt die
mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung
nach § 7 KSchG als rechtswirksam und beendet
das Arbeitsverhältnis zum "falschen"
Termin, wenn die Kündigungsschutzklage nicht
binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen
Kündigung erhoben worden ist.
Im Streitfall konnte der Senat die ausdrücklich
zum 31.7.2008 erklärte Kündigung der Beklagten
weder nach ihrem Inhalt noch nach den sonstigen
Umständen als eine Kündigung zum 30.9.2008
auslegen. Der Kläger hätte deshalb innerhalb
von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage
erheben müssen.
Linkhinweise:
Der Volltext der Entscheidung wird demnächst
auf den Webseiten
des BAG veröffentlicht. Für die Pressemitteilung
des BAG klicken Sie bitte hier.
Für die auf den Webseiten
des EuGH veröffentlichte "Kücükdeveci"-Entscheidung
klicken Sie bitte hier.
Quelle: BAG PM Nr. 67 vom 1.9.2010